Geschichte von Brügge
Optimale Lage
Brügge und das Meer – eine besondere Beziehung. Wasser spielte nämlich eine entscheidende Rolle für seine Entwicklung. Die Stadt liegt exakt an der Nahtstelle zweier Landschaften, einerseits der Küstenebene und andererseits der Sandböden des höher gelegenen Binnenlands. Ein Sandrücken fungierte als natürliche Barriere. Außerdem vereinten sich hier einige Bäche zum Fluss Reie, der im Norden an der Küste ins Meer mündete. Über sogenannte Gezeitenrinnen bildete die Reie eine natürliche Verbindung zur Nordsee.
Erste Anfänge
Um die Zeitwende gehörte die Region zum Römischen Reich. Etwas nördlich der heutigen Innenstad befand sich damals eine kleine Siedlung an einer Gezeitenrinne. Die Bewohner lebten von Fischfang, Viehzucht, Torfabbau und Salzgewinnung. Reste von zwei seetüchtigen Booten aus dem 3. Jahrhundert beweisen, dass es einen kleinen Hafen gab. Zunehmende Germaneneinfälle ließen das Weströmische Reich im 5. Jahrhundert untergehen. Was sich zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert in Brügge abspielte, ist weitgehend unbekannt. Wir wissen jedoch, dass die fränkischen Merowingerfürsten zu Beginn dieser rätselhaften Periode die Kontrolle über die Region gewannen und sie in mehrere als Gaue bezeichnete Verwaltungsgebiete aufteilten.
Eine sichere Burg
Als Teil eines größeren Straßennetzes hatten die Römer einen Weg auf dem Sandrücken angelegt, der an die Küstenebene grenzte. Das heutige Brügge entstand genau dort, wo dieser Weg auf die Reie stieß, dem Burgplatz. Anfang des 9. Jahrhunderts stand hier eine einfache Burg als Teil der Küstenverteidigungsanlagen gegen die Normannen. Im Auftrag des fränkischen Herrschers war sie strategisch angelegt worden. Brügge war nämlich übers Meer erreichbar und somit ein interessantes Ziel für mögliche Angriffe. Das bescheidene Bauwerk war von Erdwällen mit Holzpalisaden und Wasser umgeben. Trotzdem muss es als sicher gegolten haben, denn 851 suchten hier einige Mönche aus Gent mit ihren kostbaren Besitztümern Zuflucht vor den Normannen. Zu dieser Zeit taucht der Name der Stadt erstmals in der Geschichte auf. Brügge stammt vielleicht vom altnorwegischen Wort „Bryggja“ (Pier, Landestelle) ab oder vom germanischen „Brugjo“, was in etwa dasselbe bedeutet.
Die Grafen von Flandern
Um 863 kam Balduin I., der erste Graf von Flandern, in die Region. Als taufrischer Schwiegersohn des westfränkischen Königs Karl des Kahlen erhielt er ein Stück Land als Aussteuer seiner Frau, den Flanderngau. Ein Geschenk mit Hintergedanken, denn Karl der Kahle schickte Balduin bewusst in eine der abgelegensten Ecken seines Reiches, wo er sein Vertreter vor Ort sein sollte. Mit seiner Frau Judith ließ sich Balduin auf der Burg nieder. Die Bezeichnung des Burgplatzes hat ihre Wurzeln im Wort „Burg“, das im Niederländischen zugleich „Dorfkern“ bedeutet. Trotz seiner Stellung als königlicher Beamter gelang es Balduin, politischen Einfluss zu erwerben und sein Amt erblich zu machen. Seine Nachfahren bauten weiter an der gräflichen Dynastie mit Brügge als Machtzentrum und Hauptort der Grafschaft Flandern.
Wachstum der Stadt
Der Anwesenheit der flämischen Grafen, der günstigen Lage und der Verbindung zum Meer verdankt Brügge seine frühmittelalterliche Entwicklung zu einer florierenden internationalen Hafen- und Handelsstadt. Insbesondere das berühmte flämische Tuch (bearbeiteter Wollstoff) sorgte ab dem 11. Jahrhundert für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Der lockte viele Menschen an, die ein Stück vom Kuchen abhaben wollten, und die Einwohnerzahl schoss nach oben. Als italienische Händler Brügge Ende des 13. Jahrhunderts zur Basis ihres Seehandels in Nordeuropa wählten, folgten andere ihrem Beispiel. Kaufleute aus ganz Europa ließen sich in der Stadt nieder. Neue Gebäude entstanden, zum Beispiel der Belfried und die Stadthalle auf dem Marktplatz, das Sankt-Jans-Hospital, mehrere Kirchen und wichtige Handelsinfrastruktur wie die Wasserhalle, ein Lagerhaus. Auch die allererste Börse entstand damals in Brügge. Vor allem im 14. Jahrhundert konnte sich Brügge stolz zu den bedeutendsten Handelszentren Europas zählen.

Die Burgunderherzöge
Im 14. Jahrhundert verband sich der burgundische Hof durch eine geschickte Heiratspolitik mit der Grafschaft Flandern: Herzog Philipp der Kühne heiratete Margarete von Dampierre, die Erbin des flämischen Grafen. Als der Graf 1384 starb, wurde das wohlhabende Flandern Teil des Burgunderreichs. Die Burgunderherzöge hielten sich gern in Brügge auf und gaben der Stadt neuen Schwung. Das führte im 15. Jahrhundert zu einer Zeit beispiellosen Aufschwungs und Reichtums.
Das Goldene Zeitalter Brügges
Die Burgunderherzöge waren für ihren erlesenen Geschmack bekannt. Sie erweiterten ihre ständige Residenz im noblen Prinzenhof und ließen die namhaftesten Maler wie Jan van Eyck in ihrem Auftrag arbeiten. Neben zahlreichen anderen Künstlern und Handwerkern machte dieses Spitzentalent Brügge zu seiner Heimat. Edelleute und vornehme Familien folgten dem prunkvollen Beispiel des burgundischen Hofes. Sie zogen in großzügige Stadtpalais und gaben ihr Vermögen für deren Verschönerung aus. Das Spiel von Angebot und Nachfrage machte Brügge zu einem namhaften Produktionszentrum diverser Luxusgüter. Zünfte überwachten, dass alle Produkte von höchster Qualität waren. Ausländische Kaufleute machten die Stadt zu einer Drehscheibe für den internationalen Handel. Brügge entwickelte sich zu einer wahren Metropole. Mit rund sechzigtausend Einwohnern war sie eine der größten Städte Europas.
Der Niedergang
Diese wirtschaftliche Blütezeit endete nach dem plötzlichen Tod der beliebten Herzogin Maria von Burgund im Jahr 1482. Das Verhältnis zwischen den Bürgern Brügges und dem Witwer Maximilian von Österreich trübte sich. Maximilian verließ die Stadt mit seinem Hofstaat; Händler und Adelige folgten in seinem Kielwasser. Antwerpen wurde zur neuen Handelsmetropole der Burgundischen Niederlande. Durch den Wegzug des Handels versandete die Verbindung zum Meer immer mehr, obgleich die Stadt alles daransetzte, sie zu erhalten. Die beeindruckende Karte von Marcus Gerards aus dem 16. Jahrhundert war ein echter Werbegag, der die vorteilhafte Lage am Meer etwas beschönigte. Bis heute ist dieses Meisterwerk der ausführlichste historische Stadtplan Brügges. Angestachelt durch religiöse und politische Differenzen folgten Jahrhunderte der Kriege und Machtwechsel. Brügge blieb bei alledem eine katholische Stadt und gehörte nacheinander zum spanischen, österreichischen, französischen und niederländischen Reich.
Die Wiederbelebung
Als Belgien 1830 unabhängig wurde, war Brügge stark verarmt. Die industrielle Revolution ging weitgehend an der Stadt vorbei und die Wirtschaft war von einfacher Hausindustrie gekennzeichnet. So verdienten eine Zeit lang etwa zehn- der fünfzigtausend Einwohner – hauptsächlich Frauen – ihr Brot mit Spitzenklöppeln. Doch auch Innovationen hielten Einzug: 1838 wurde Brügge an das junge belgische Eisenbahnnetz angeschlossen. Der Bahnhof befand sich damals am ’t-Zand-Platz. Briten auf der Bahnreise nach Waterloo, dem Schlachtfeld von Napoleons Niederlage, übernachteten in Brügge. Viele beschlossen, sich dauerhaft hier niederzulassen. Das führte zum Zuzug von Engländern, zu einer regelrechten Kolonie, mit der eine Aufwertung der alten, typischen Backsteinarchitektur einherging, die nicht den damals modernen französischen Stilen entsprach. Diese Ehrenrettung des gotischen Stils und seine Nachahmung haben Aussehen und Atmosphäre Brügges stark beeinflusst. Mehr noch, sie haben dafür gesorgt, dass die Stadt ein einheitliches architektonisches Bild erhielt. Leser des Romans „Bruges-la-Morte“ (1892) von Georges Rodenbach lernten Brügge später als etwas verschlafenen, aber besonders geheimnisvollen Ort kennen. Vor allem die Fotos, die den Roman illustrierten, machten Leser neugierig auf einen Besuch in der Stadt. Brügges fantastisches Kulturerbe wurde wiederentdeckt und die Stadt wagte vorsichtig erste Schritte hin zum Tourismus.
Visionäre Stadtsanierung
Aus dem Wunsch heraus, mit dem Meer verbunden zu sein, gab die Stadtverwaltung Ende des 19. Jahrhunderts grünes Licht für den Bau eines neuen Seehafens namens Zeebrugge. Nach einem schwierigen Start entwickelte sich der Ort im 20. Jahrhundert zum Hafen von Weltformat. Beide Weltkriege hinterließen die historische Innenstadt so gut wie intakt, aber verarmt. Ein Stadtplan (Marcus Gerards, 1561–1562) Grabmal von Maria von Burgund (Museum Liebfrauenkirche, Brügge) 8 visionäres Stadtsanierungsprojekt in den 1970er-Jahren ließ Brügge ein zweites Mal im alten Glanz erstrahlen. Schwerpunkt waren die Renovierung historischer Häuser, die Sanierung der Kanäle, mehr Grün in der Stadt und das Zurückdrängen von König Auto. Mit Erfolg, denn Brügge gilt nach wie vor als eine der schönsten, lebenswertesten Städte.
Brügge heute
Dank der besonderen Bemühungen um ihr Kulturerbe erhielt Brügge 2000 den Ehrentitel UNESCO Weltkulturerbestadt. 2002 festigte Brügge sein internationales Profil als Kulturhauptstadt Europas. Sechs Jahre später brillierte die Stadt im Film „Brügge sehen … und sterben?“. Danach entdeckten auch andere internationale Produktionen Brügge als idealen Drehort. So begegnen Sie Brügge in der namhaften BBC-Serie „The White Queen“ (2013) und dem indischen Film „PK“ (2014), dem allerersten Bollywoodfilm, der je in Belgien gedreht wurde. 2015 wurde die Stadt zum Veranstaltungsort der innovativen Triennale Brügge. Seitdem lädt sie alle drei Jahre eine Auswahl internationaler und belgischer Künstler und Architekten ein, den Dialog mit der historischen Innenstadt aufzunehmen. Das attraktive Resultat ist jedes Mal ein vorrübergehender Kunst- und Architekturparcours durch die Stadt mit zeitgenössischen Werken.
Brügge ist nicht nur stolz auf seine reiche Geschichte und seinen Status als Weltkulturerbestadt, sondern hat auch die Zukunft im Blick. Denn die Stadt ist dynamisch und dauernd in Bewegung. Das verdankt sie stolzen Brüggern, umtriebigen Unternehmern und begeisterten Besuchern. Sie alle tragen zu einer nachhaltigen Zukunft der Stadt bei, die ausgewogen, verbindend, attraktiv und unternehmend ist.